Wellers Wahre Worte
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Juni 2001

Kathmandu - High Noon am Hofe

Ist das Kronprinz-Massaker in Nepal ein Menetekel für die Windsor-Monarchie?



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Lange Zeit wurde in dieser Kolumne die Aristokratie sträflich vernachlässigt. Ein Thema für die Regenbogenpresse aber nicht für das seriöse Essay.
     Wenn jedoch, wie jüngst geschehen, ein fernes Königshaus ein Schicksalsdrama aufführt, das einen Bogen von der antiken Tragödie zu dem von Computerspielen animierten Amoklauf in Littleton spannt, dann ist auch die literaturhistorische und kulturkritische Reflexion gefragt.
     Überdies rückt uns in einem sich rasch vereinigenden Europa nicht nur der beständig fallende Euro, sondern auch das krisengeschüttelte englische Königshaus näher und näher – mitsamt seinen Sorgen.
     Die Queen selbst wird uns schon aus Noblesse an diesen Sorgen nicht teilhaben lassen. Der langjährige NDR-Chefkorrespondenten Rolf Seelmann-Eggebert, der über alles Blaublütige bestens informiert ist, hält es aber nach dem Drama im Himalaya für durchaus möglich, dass nun auch Elisabeth um ihr Leben bangt.
     Die tragischen Ereignisse am nepalesischen Hof könnten sie fürchten lassen, dass die Langmut des ewigen Kronprinzen Charles eines Tages ebenfalls ein Ende mit Schrecken nimmt.

Dem königlichen Massaker in Kathmandu soll ein familiärer Streit über die Heiratspläne des Thronfolgers vorausgegangen sein.
     Wer dächte dabei nicht an die amour fou des Prince of Wales mit Camilla Parker Bowles?
     Eine Beziehung, an der Charles seit Jahrzehnten festhält, gegen alle Konventionen, gegen den ausdrücklichen Wunsch seiner Eltern. Lange Zeit auch gegen den Wunsch seiner Ex-Frau.
     Wie viel Bitterkeit über das so lange versagte Eheglück mag sich bei Charles angestaut haben? Und wie viel Bitterkeit auch über die bis heute versagte Krone?
     Versagt von einer dominanten und – wie es heißt – hartherzigen Mutter, die allem Anschein nach das Zepter weitere 25 Jahre in der Hand halten will.
     Queen Mum feierte im August 2000 trinkfest ihren 100. Geburtstag – ein Rekord bei den Royals, den die nicht weniger robuste Tochter gut und gerne toppen könnte.
     Bedrückende Szenarien für Charles.
     Nicht erst seine bekannte Freundschaft mit dem schießwütigen Kronprinzkollegen Dipendra aus Nepal muss einen aufmerksamen Beobachter nachdenklich stimmen:
     Ist auch Charles eine tickende Zeitbombe?
     Bis heute ranken sich Spekulationen um den Tod seiner ersten Frau im August 1997.
     Mohamed Al Fayed, der Vater des damals ebenfalls im Pariser Tunnel Pont de l'Alma tödlich verunglückten Dodi, glaubt unverändert, dass sein Sohn und die ihn liebende Diana Opfer einer Verschwörung wurden. Seither hasst er die Windsors wie einst die Montague die Capulet.
     Die Liste der Verdächtigen ist lang: MI5, CIA, NSA, Mossad, Prinz Philip...
     Einen unmittelbaren Vorteil, wenn man so will, zog aus dem tragischen Tod der beiden jedoch Prinz Charles.
     Er hatte fortan das alleinige Sorgerecht für William und Harry und brauchte nicht mehr zu fürchten, dass seine beiden Söhne auch noch dem Einfluss eines fragwürdigen Mannes an Dianas Seite ausgesetzt waren. Einem Muslim und Lebemann wohlgemerkt.
     Nur abstruse Fantasien?
     Vielleicht. Aber wer hätte vor wenigen Tagen für möglich gehalten, dass auf dem Dach der Welt ein im Koma liegender Mann noch vor dem eigenen Ableben zum neuen König und Gott ausgerufen wird, nachdem er gerade (aus "Versehen") Vater, Mutter, Geschwister und weitere Familienangehörige massakriert hatte?

Ein Geschehen, das die mentale Konditionierung des modernen, des republikanischen Menschen erschüttert und deutlich macht: Die Moralmaßstäbe des Adels, dem Herkunft alles und Sein nichts ist, sind eben andere als die des Citoyens.
     Wie sehr sind wir doch daran gewöhnt, das Abscheuliche und das Ehrwürdige streng voneinander zu scheiden, auch wenn hierzulande der angeblich an Porphyrie leidende Welfenprinz Ernst – August seit geraumer Zeit gegen dieses Vorurteil zu Felde zieht. Ein Mann übrigens, von dem abzuwarten bleibt, ob er sich bei seinen Eskapaden von der Komik des Boulevards eines Tages doch noch standesgemäß zur Tragik Shakespears aufschwingen kann, Lear statt Bier.

Der mythische Ödipus des Sophokles, der filmische Commodus des Ridley Scott (Gladiator) und nun der ebenfalls vatermordende Dipendra, sie alle bieten jedenfalls starken Tobak.
     Und Charles?
     Die Zukunft wird zeigen, ob die königliche Jagdleidenschaft weiterhin auf Füchse und Fasane beschränkt bleibt.
     Sollte ihm die Mutter die Schmach antun, nicht ihn, sondern seinen Ältesten William zum Nachfolger zu bestimmen, dann allerdings ist mit allem zu rechnen: Auch mit High Noon im Buckingham Palace.

 
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