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März 2001

Hannibal: Serienkiller als Helden der Kotzmoderne


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»Invite Hannibal Lecter into your mind« so wirbt Random House, der amerikanische Verleger von Thomas Harris, im Internet für dessen umstrittenes Buch »Hannibal«.
     Als Kostprobe wird das 21. Kapitel offeriert - auch in Audio.
     Zumindest Ridley Scotts Einladung ins Kino kamen die Zuschauer scharenweise nach:
     Sein Sequel zum »Schweigen der Lämmer« (mit Anthony Hopkins und ohne Jodie Foster) spielte in den USA schon in den ersten 3 Tagen rekordverdächtige 122 Millionen DM ein.
     Während früher einmal in William Friedkins »Der Exorzist« das Böse noch aus dem Körper ausgetrieben wurde, wird es nun in die Seelen des Publikums eingetrieben: Serienkiller als Sympathieträger und Heldengestalten.
     Als netter Onkel entschwebt Dr. Lecter am Ende - nachdem er zuvor (»Es wird wehtun«) seiner verführten Verfolgerin Clarice ein Liebesopfer erbrachte, das ihn filmmythologisch an die Seite von Humphrey Bogart stellt.
     Der verzichtete in »Casablanca« zuletzt nur auf die geliebte Frau. Hannibal verzichtet darüberhinaus auf einen Körperteil - wie sollte es bei einem Kannibalen auch anders sein.
     So kommt auch die Liebe auf den Hund bzw. auf die Säue. Vor denen konnte sich zwar das seltsame Paar retten - aber nicht den guten Geschmack.
     Verena Lueken nannte in der FAZ den Roman von Harris ein »irrwitziges und unglaublich grausames Buch« mit »einer durch und durch bizarren Ironie«.
     Ridley Scotts Verfilmung machte die unappetitliche Geschichte weder besser noch schlechter, sondern nur etwas kürzer.
     Zwei Stunden, die im Kinosaal eine psychologische Experimentalsituation schaffen:
     Ist es möglich, Menschen wie dir und mir eine sadistische Monströsität vorzuführen und ihre Sympathien nicht dem Opfer, sondern dem Monstrum zuzulenken?
     Ja, es ist möglich. Und es lässt sich viel Geld damit verdienen.
     Wenn nach »Hannibal« in mir etwas nachhallte, dann war es das dumme Lachen einiger Zuschauer während der abscheulichsten Szene. Und das Schweigen der erschrockenen oder belämmerten anderen.
     Ich selbst, es sei gestanden, bin zartbesaitet - und schloss Augen und Mund.
     Susanne Weingarten fragte im SPIEGEL:
     »Wo zieht sie (die Gesellschaft) die Schmerzgrenze, an der die Freiheit der Rede und des ästhetischen Ausdrucks vor dem Schutz der Menschenwürde zurückweichen soll?«
     Meine Augenlider selbst zogen diese Schmerzgrenze, indem sie den Vorhang nur für mich fallen ließen. Dennoch verließ ich das Kino wie ein Schuldiger: Beschmutzt allein schon durch zahlende Zuschauerschaft.
     Klammheimliche Sympathisanten des Bösen auch alle anderen, die mit mir dem Ausgang zustrebten. Ein Massenpublikum mit abgehärtetem Geschmack.
     Hannibal-Schöpfer Thomas Harris selbst vergleicht den mit medialen Gewaltdarstellungen übersättigten Zeitgenossen mit einem Kranken, der nur noch auf stärksten Tobak anspricht.
     Doch »der Kritiker der kulturellen Fehlentwicklung ist gleichzeitig tief beteiligt an ihr«, wie Laurenz Volkmann in seiner vorzüglichen Studie zu Harris schreibt.
     Bereits 1991 fragte das amerikanische Magazin Newsweek in seiner Titelgeschichte »Violence goes Mainstream«: Filme, Musik, Bücher - Gibt es noch Grenzen?
     10 Jahre später stellt sich die Frage - nicht zuletzt durch »Hannibal« - noch deutlicher oder ist bereits beantwortet.
     Marquis de Sade sitzt nicht mehr in der Irrenanstalt von Charenton, sondern ist heute Produzent erfolgreicher Filme.
     Die Ausweitung der Unterhaltungszone lässt ein Tabu nach dem anderen fallen.
     Insofern ähnelt unsere lustvolle Zertrümmerung all dessen, was noch als heilig gelten könnte, dem irrwitzigen Bildersturm der mittelalterlichen Taliban in Afghanistan.
     Diese enthaupten Buddha-Statuen mit Sprengladungen - »es sind nur Steine«.
     Hannibal Hopkins öffnet die Schädeldecke und delektiert sich an frischem Hirn - es ist nur Ray Liotta und außerdem Tricktechnik.
     Was empfiehlt dabei Meister Anthony seinem Millionen-Publikum: »Ich sage: Entspannt euch.«
     Schließlich spielt Liotta einen Fiesling, der sich doch selbst die Grube grub: gewissermaßen ein Jud Süß.
     Weswegen er - ein Glück - immerhin dies, einen Juden, nicht mimen darf.
     Für den Filmemacher Ridley Scott verbieten sich Assoziationen zum Nazi-Regisseur Veit Harlan und Anthony Hopkins darf so einnehmend nur den fiktiven Bösewicht Dr. Lecter darstellen - und nicht etwa ein reales Monstrum wie Dr. Mengele, der sein blutiges Handwerk als KZ-Arzt betrieb.
     »Invite Hannibal Lecter into your mind« - aber (noch) nicht Adolf Hitler.
     Ein letzter Trost für den über die Verrohung Erschrockenen: Zumindest der Rechtsradikalismus, der sich ja auch aus der Lust am Tabubruch speist, ist kein Mainstream, sondern weiterhin Subkultur, politischer Splatter.
     Für Phänomene wie den Faschismus, hat Sir Anthony übrigens eine bestechend einfache Erklärung:
     »Politische Korrektheit ist das wirklich Böse in unserer Welt. Hemmungen und Verdrängungen haben Schreckliches hervorgebracht: die Inquisition, Faschismus, McCarthyismus.«

Die Geschichte ließe sich allerdings auch anders deuten: Etwa so, dass den Zivilisationsbrüchen kulturelle Brüche vorausgingen, welche den späteren Opfern schon vorab die Würde nahmen.
     Mit Filmen wie »Hannibal« steht die Menschenwürde ganz allgemein zur Disposition.
     Wobei kein Antichrist die Regie führt, sondern nur Ökonomie, besser gesagt: die Ökonomie der Aufmerksamkeit.
     Und Aufmerksamkeit, zumal eine, die sich auszahlen soll, wird für unsere sensationsgierige Gattung am Besten mit dem kalkulierten Skandal geschaffen.
     Da der Autor diesmal am Versuch einer satirischen Schadensbewältigung eindeutig scheiterte, nun gleich noch ein völlig unzweideutiger Rat an diejenigen, die »Hannibal« noch nicht sahen:
     Sparen Sie sich Ihr Geld! Der Film ist nicht nur degoutant, sondern überdies noch langweilig. Und auch das ist heute eine Todsünde.

 
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