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»Invite Hannibal Lecter into your mind« so wirbt Random House, der amerikanische
Verleger von Thomas Harris, im Internet für dessen umstrittenes Buch »Hannibal«.
Als Kostprobe wird das 21. Kapitel offeriert
- auch in Audio.
Zumindest Ridley Scotts Einladung ins Kino
kamen die Zuschauer scharenweise nach:
Sein Sequel zum »Schweigen der Lämmer« (mit
Anthony Hopkins und ohne Jodie Foster) spielte in den USA schon in den
ersten 3 Tagen rekordverdächtige 122 Millionen DM ein.
Während früher einmal in William Friedkins
»Der Exorzist« das Böse noch aus dem Körper ausgetrieben wurde, wird es
nun in die Seelen des Publikums eingetrieben: Serienkiller als Sympathieträger
und Heldengestalten.
Als netter Onkel entschwebt Dr. Lecter am
Ende - nachdem er zuvor (»Es wird wehtun«) seiner verführten Verfolgerin
Clarice ein Liebesopfer erbrachte, das ihn filmmythologisch an die Seite
von Humphrey Bogart stellt.
Der verzichtete in »Casablanca« zuletzt
nur auf die geliebte Frau. Hannibal verzichtet darüberhinaus auf einen
Körperteil - wie sollte es bei einem Kannibalen auch anders sein.
So kommt auch die Liebe auf den Hund bzw.
auf die Säue. Vor denen konnte sich zwar das seltsame Paar retten - aber
nicht den guten Geschmack.
Verena Lueken nannte in der FAZ
den Roman von Harris ein »irrwitziges und unglaublich grausames Buch«
mit »einer durch und durch bizarren Ironie«.
Ridley Scotts Verfilmung machte die unappetitliche
Geschichte weder besser noch schlechter, sondern nur etwas kürzer.
Zwei Stunden, die im Kinosaal eine psychologische
Experimentalsituation
schaffen:
Ist es möglich, Menschen wie dir und mir
eine sadistische Monströsität vorzuführen und ihre Sympathien nicht dem
Opfer, sondern dem Monstrum zuzulenken?
Ja, es ist möglich. Und es lässt sich viel
Geld damit verdienen.
Wenn nach »Hannibal« in mir etwas nachhallte,
dann war es das dumme Lachen einiger Zuschauer während der abscheulichsten
Szene. Und das Schweigen der erschrockenen oder belämmerten anderen.
Ich selbst, es sei gestanden, bin zartbesaitet
- und schloss Augen und Mund.
Susanne Weingarten fragte im SPIEGEL:
»Wo zieht sie (die Gesellschaft) die Schmerzgrenze,
an der die Freiheit der Rede und des ästhetischen Ausdrucks vor dem Schutz
der Menschenwürde zurückweichen soll?«
Meine Augenlider selbst zogen diese Schmerzgrenze,
indem sie den Vorhang nur für mich fallen ließen. Dennoch verließ ich
das Kino wie ein Schuldiger: Beschmutzt allein schon durch zahlende Zuschauerschaft.
Klammheimliche Sympathisanten des Bösen
auch alle anderen, die mit mir dem Ausgang zustrebten. Ein Massenpublikum
mit abgehärtetem Geschmack.
Hannibal-Schöpfer Thomas Harris selbst vergleicht
den mit medialen Gewaltdarstellungen übersättigten Zeitgenossen mit einem
Kranken, der nur noch auf stärksten Tobak anspricht.
Doch »der Kritiker der kulturellen Fehlentwicklung
ist gleichzeitig tief beteiligt an ihr«, wie Laurenz Volkmann in seiner
vorzüglichen Studie
zu Harris schreibt.
Bereits 1991 fragte das amerikanische Magazin
Newsweek in seiner Titelgeschichte »Violence goes Mainstream«: Filme,
Musik, Bücher - Gibt es noch Grenzen?
10 Jahre später stellt sich die Frage -
nicht zuletzt durch »Hannibal« - noch deutlicher oder ist bereits beantwortet.
Marquis
de Sade sitzt nicht mehr in der Irrenanstalt von Charenton, sondern
ist heute Produzent erfolgreicher Filme.
Die Ausweitung der Unterhaltungszone lässt
ein Tabu nach dem anderen fallen.
Insofern ähnelt unsere lustvolle Zertrümmerung
all dessen, was noch als heilig gelten könnte, dem irrwitzigen Bildersturm
der mittelalterlichen Taliban in Afghanistan.
Diese enthaupten Buddha-Statuen mit Sprengladungen
- »es sind nur Steine«.
Hannibal Hopkins öffnet die Schädeldecke
und delektiert sich an frischem Hirn - es ist nur Ray Liotta und außerdem
Tricktechnik.
Was empfiehlt dabei Meister Anthony seinem
Millionen-Publikum: »Ich sage: Entspannt euch.«
Schließlich spielt Liotta einen Fiesling,
der sich doch selbst die Grube grub: gewissermaßen ein Jud Süß.
Weswegen er - ein Glück - immerhin dies,
einen Juden, nicht mimen darf.
Für den Filmemacher Ridley Scott verbieten
sich Assoziationen zum Nazi-Regisseur Veit Harlan und Anthony Hopkins
darf so einnehmend nur den fiktiven Bösewicht Dr. Lecter darstellen -
und nicht etwa ein reales Monstrum wie Dr. Mengele, der sein blutiges
Handwerk als KZ-Arzt betrieb.
»Invite Hannibal Lecter into your mind«
- aber (noch) nicht Adolf Hitler.
Ein letzter Trost für den über die Verrohung
Erschrockenen: Zumindest der Rechtsradikalismus, der sich ja auch aus
der Lust am Tabubruch speist, ist kein Mainstream, sondern weiterhin Subkultur,
politischer Splatter.
Für Phänomene wie den Faschismus, hat Sir
Anthony übrigens eine bestechend einfache Erklärung:
»Politische Korrektheit ist das wirklich
Böse in unserer Welt. Hemmungen und Verdrängungen haben Schreckliches
hervorgebracht: die Inquisition, Faschismus, McCarthyismus.«
Die Geschichte ließe sich
allerdings auch anders deuten: Etwa so, dass den Zivilisationsbrüchen
kulturelle Brüche vorausgingen, welche den späteren Opfern schon vorab
die Würde nahmen.
Mit Filmen wie »Hannibal« steht die Menschenwürde
ganz allgemein zur Disposition.
Wobei kein Antichrist die Regie führt, sondern
nur Ökonomie, besser gesagt: die
Ökonomie der Aufmerksamkeit.
Und Aufmerksamkeit, zumal eine, die sich
auszahlen soll, wird für unsere sensationsgierige Gattung am Besten mit
dem kalkulierten Skandal geschaffen.
Da der Autor diesmal am Versuch einer satirischen
Schadensbewältigung eindeutig scheiterte, nun gleich noch ein völlig unzweideutiger
Rat an diejenigen, die »Hannibal« noch nicht sahen:
Sparen Sie sich Ihr Geld! Der Film ist nicht
nur degoutant, sondern überdies noch langweilig. Und auch das ist heute
eine Todsünde.
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